Zeitung unbekannt
Rhein-Sieg-Kreis Dienstag, 30. November 1971
Aus der Geschichte Mondorfs und seiner Korbmacher
Goldjubilar eines aussterbenden Handwerks
Obstkörbe brachten Zwetschen nach England – „Kiehre Pitters" Werkstatt beliebter Treffpunkt
Von Rektor Hermann Sanke
50 Jahre übt Peter Caspers, einer der letzten beiden Mondorfer Korbmacher, das alte, ehrwürdige
Handwerk der Korbflechterei aus. Sein Häuschen mit der kleinen Werkstatt steht an der Ecke („Op de
Kiehr") von Thelengasse und Kellergasse. Diesem Umstand verdankt er den Namen "Kiehre Pitter", und
so wird er auch im ganzen Ort genannt. Wie der 80jährige Mondorfer Korbmacher Hilarius Görgens heute
noch fleißig arbeitet und seine selbstgefertigten Kartoffel- und Obstkörbe mit dem Leiterwägelchen über
Land zieht und anbietet, so denkt auch der Pitter, der am 1. Dezember 65 Jahre alt wird, nicht daran, sich
zur Ruhe zu setzen. Und wie Vater und Großvater ihr Korbmacher-Handwerk bis ins hohe Alter hinein
ausgeübt haben, so möchte auch er so lange wie möglich Körbe machen. Dicke Bündel schlanker, zäher
Weidenruten, die in der Jülicher Gegend gewachsen sind, stehen in der Werkstatt und harren der
Verarbeitung zu Kartoffel- und Obstkörben, zu Mangel- und Wäschekörben.
Vor einem Jahrhundert etwa, als Mondorf noch das kleine Korbmacher- und Fischerdorf war, standen am
Siegufer und am Rhein genügend Weiden, die den Korbmachern das Material für ihre Arbeit lieferten. Die
Weidenruten wurden im Winter qeschnitten und im Frühjahr sortiert. Man rechnete mit 150 000 Gebund,
die alljährlich in Mondorf verarbeitet wurden; die meisten Einwohner betrieben damals das Korbmacher-
Handwerk.
Die Korbmacher stellten die gebündelten Ruten in einen künstlich angelegten Setzteich (Weggepool). Fünf
Wochen mußten die Weiden hierin „Saft ziehen". Sie wurden erst geschält, wenn sie, im Wasser stehend,
Blätter trieben. Die Korbmacher brauchten also viel Wasser; deshalb gab es im Dorf zehn Pumpen.
Frauen und Kinder konnten sich im Frühjahr mit Weidenschälen einen kleinen Verdienst beschaffen,
Tagelang saßen sie dann an der „Straaf". So nannten die Mondorfer Korbmacher das einfache Gerät mit
dem jede einzelne Rute geschält wurde. Meist verrichteten mehrere Frauen diese Arbeit gemeinsam. Bei
munterem Plaudern ging es oft bis spät in die Nacht hinein. Für das Schälen eines Gebundes wurden vor
dem Zweien Weltkrieg zehn Pf gezahlt. Eine Person konnte täglich zehn bis 15 Gebund schälen.
Dann begann die eigentliche Arbeit des Korbflechtens. Es war Männerarbeit, denn die feuchten,
geschälten Korbweiden verlangten eine kräftige Hand. Geübte Korbmacher schafften drei bis vier Körbe
am Tag und, je nach Größe, auch sechs bis zehn Körbe. Viele Sorten Körbe wurden hergestellt:
Fleischerkörbe, Babykörbe, Körbe für den Kohletransport, Körbe für den Lehmtransport auf den
Ziegeleien, Kiepen für die Weinbauern, Hauskörbe für den Einkauf, Körbe für Obst und Kartoffeln, Körbe
für den Transport von Erde und Schlamm auf den Baustellen, Mangelkörbe, Schließkörbe (verschließbare
Truhen), Wäschekörbe und noch viele andere Sorten.
Jede Korbmacherfamilie hatte ein bis zwei Kühe oder mehrere Ziegen. Alle hatten wohl das Nötigste zum
Leben; jedoch hingen Wohl und Wehe des Dorfes weitgehend vom Verkauf der Obstkörbe ab, die zum
Versand von dreiviertelreifen Zwetschen nach England verwandt wurden. Gab es ein gutes
Zwetschenjahr, so wurden viele Körbe benötigt, und der Verdienst war gut. Dann wurde Tag und Nacht
gearbeitet. Auch Frauen und Kinder halfen bis spät in die Nacht mit, während sich die Männer monatelang
mit nur zwei bis drei Stunden Schlaf in der Nacht begnügten. War die Zwetschenernte dagegen schlecht,
kam kaum Geld nach Mondorf. Es war ein armseliges Leben, besonders auch für die Geschäftsleute, die
ebenfalls leer ausgingen, weil die Obstkörbe der Korbmacher liegenblieben. Sie stapelten sich in
Werkstätten und Scheunen und brachten keinen Verdienst ein. Das änderte sich, als 1901 eine
Genossenschaft gegründet wurde, deren Lagerhaus sich heute noch am Adenauerplatz in Mondorf
befindet. Nun konnten hier die im Winter gefertigten Korbwaren gegen Entgelt abgeliefert werden. Die
Korbmacher gingen auch von Tür zu Tür, wie es heute noch der alte Mondorfer Korbmacher Görgens tut,
und boten ihre Waren an. Sie waren stolz darauf, daß die Maschine ihre Arbeit nicht ersetzen konnte.
Recht lustig ging es oft in den Werkstätten der Korbmacher zu, wenn Männer der Nachbarschaft dem
fleißigen Handwerker Gesellschaft leisteten. Neuigkeiten wurden ausgetauscht, und ab und zu machte
auch die Schnapsflasche dabei die Runde. Die war sicher nicht immer schuldlos daran, wenn manche
Geschichte zum besten gegeben wurde, deren Wahrheitsgehalt nicht ohne weiteres nachzuprüfen war.
Nach 1897 wurden keine Obstkörbe mehr für den Versand ins Ausland hergestellt - nur noch Körbe für
Tabak, Kartoffeln, Säureflaschen und für den Obstversand in Deutschland; aber auch Schließ- und
Wäschekörbe benötigte man noch. Aber auch diese Körbe wurden nach und nach durch Kisten und
andere, Behälter aus Holz, Draht und später aus Kunststoff ersetzt, weil die industrielle Fertigung von
Behältnissen schneller ging und billiger war.
Wegen des mangelnden Bedarfs ging die Korbmacherei stark zurück. Nach dem ersten Weltkrieg zogen
wohl die meisten Korbmacher in die Fabriken der Umgebung. Hier hatten sie einen regelten Arbeitstag und
sicheren Verdienst. Nach der Fabrikarbeit bearbeiteten sie ihren Garten und ihr Feld oder widmeten sich,
soweit es die Zeit erlaubte, weiterhin der Korbflechterei für den Eigenbedarf. Da auch die wenigen
Korbmacher, die ihrem Handwerk treugeblieben waren, nebenher ein wenig Ackerschaft betrieben, sind
alle Im Laufe der Jahre zu einem gewissen Wohlstand gekommen.
Wenn auch der Kunststoff heute die Korbmacherei weitgehend verdrängt hat, so gibt es dennoch einen.
gewissen Kundenkreis, der die kräftigen, handgearbeiteten Weidenerzeuguine zu schätzen weiß. Mit den
beiden letzten Vertretem dieses alten Handwerks, Hilarius Görgens und Peter Caspers, wird das einst
blühende Gewerbe in Mondorf aussterben, das jahrhundertelang das Dorfbild weitgehend mitgestaltet hat.
Bis dahin aber bleibt die Werkstatt des Junggesellen „Kiehre Pitter" ein beliebter Treffpunkt für die Rentner
der Umgebung, und manche Anekdote aus dem alten Mondorf wird hier in gemütlicher Runde der
Vergessenheit entrissen.
Dank an Peter Bernard für die Beschaffung des Artikels!
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