Bericht von Pastor Breuer über das Kriegsende in Mondorf!
Aus Kölner Rundschau(?) Nummer 76 von 1965.
Es geschah am 13. April 1945: Amerikaner besetzten Mondorf!
Ein Panzerauto und zwei kleine Jeeps brachten die erste „Besatzung“!
von Pastor F. Breuer
Mondorf.
(br) Es waren turbulente Wochen, die die Mondorfer im
März und April 1945, vor genau 20 Jahren, durchzustehen hatten. Ihr Pastor F.
Breuer stand ihnen in dieser schweren Zeit bei und spendete dort Trost, wo er
vonnöten war. Pfarrer Breuer war es auch, der in seinem Tagebuch die Ereignisse
von damals festhielt. Jetzt hat er aus diesem Tagebuch herausgezogen, was er
und die Mondorfer damals erlebten. Hier sein Bericht:
In
den ersten Monaten des Jahres 1945 bangte Mondorf vor dem Herankommen der
Kämpfe an den Rhein. Monatelang schon hatten wir das Kriegsgetöse aus der Eifel
über den Rhein hören können. Anfang März 1945 war es soweit: Die Alliierten
näherten sich dem Rhein. Die große Frage war: Machen sie einen Rheinübergang?
In dem Winkel zwischen Rhein und Sieg war Mondorf die seit Jahrhunderten
übliche Übergangsstelle, von der aus die weithin einzige gefestigte Straße nach
Osten führte. So war es zu befürchten, dass die Amerikaner durch das Brechen
allen Widerstandes sich den Übergang mit Gewalt erzwingen würden. Das hätte die
Zertrümmerung des Dorfes bedeutet. Oft war es drauf und dran, dass die
Mondorfer Bevölkerung evakuiert werden sollte.
Als
in Hitlers Heeresbericht hinausposaunt wurde: „Wir haben an der unteren Sieg
eine Front aufgebaut, die unüberwindlich ist“, stand nur eine dünne Postenkette
am Rheine entlang, deren Befehlshaber, ein
Oberleutnant, im tiefsten Brauereikeller hauste. „Hätte ich Fahrzeuge“, sagte
er dort zum Pastor, als dieser wegen der befohlenen Evakuierung bei ihm
vorsprach. Und die Parteigewaltigen, die in den Kellern noch an den letzten
Volkssturmaushebungen schrieben, waren noch machtloser. In Anbetracht des
drohenden Rheinübergangs war es ein unheimliches Risiko, nicht zu flüchten. Da
kam uns ein Glücksfall zu Hilfe: Dadurch, dass die Erpeler
Brücke unversehrt in Feindeshand fiel, geschah dort der Rheinübergang, und die
Mondorfer Sorgen schmolzen dahin. So kam es in Mondorf nur zu kleinen
Kriegsereignissen, die für die Beteiligten und die Ortsangehörigen
immer noch interessant sind. Im einzelnen waren nach
gleichzeitigen Tagebuchaufzeichnungen besonders folgende Dinge erwähnenswert:
In
der Nacht zum 5. März 1945 pfiffen die ersten Granaten über das Dorf und
brachten mehr Schrecken als Schäden. Das war das Signal zur allgemeinen Flucht
in die Keller. Betten, Möbel, Küchengeräte und Wertsachen wurden dort verstaut
– für Monate. Und da war es finster: Der elektrische Strom blieb ganz aus.
Lichter und Heizmaterial wurden kostbar. Die Schule war ganz geschlossen, und
so waren alle „zu Hause“, wenn der Pastor in den nicht eingesehenen Straßen
seine Hausbesuche in den Kellern machte. Die Kirche war seit Beginn der
Schießereien geschlossen. Der Pastor hatte in seinem Keller einen Altar
aufgeschlagen; er feierte dort täglich die hl. Messe im Beisein weniger herbeigeschlichener Nachbarn. Bald kam aber der Gedanke
auf, auch in anderen Kellern zu zelebrieren. Und so wanderte der Pastor
frühmorgens, wenn es noch still war, mit seinen Altargeräten durch das Dorf, um
in einem größeren Keller, wo sich auch einige Nachbarn versammeln konnten, sein
Volk um den Altar zu scharen. Das waren sehr behelfsmäßige, aber unvergessliche
Gottesdienste. Oft wurde auch die hl. Kommunion dabei ausgeteilt. Beichten war
unmöglich: Deshalb wurde nach einem Reuegebet die Lossprechung von den Sünden
gemeinsam erteilt – mit der Verpflichtung, sich später einer ordentlichen
Beichte zu unterwerfen.
Die Fähre wurde versenkt!
Am
7. März wurde die Mondorfer Fähre in der alten Sieg versenkt, um sie dem
Zugriff des herannahenden Feindes zu entziehen. Der Verkehr über den Rhein war
vorerst tot. Am 8. März war der Feind so nahe, dass die deutschen Pioniere ihre
Anlegebrückenköpfe in die Luft sprengten. Das gab eine Jagd nach Holz!
Brennholz und Bauholz waren kostbar!
Am
9. März 1945 war es soweit. Die Amerikaner besetzten Hersel
und Bonn-Rheindorf und griffen uns bald mit Lautsprechern an, die allerlei
Befehle und Musik herüberriefen. Auf der Bonner Seite
fühlte man sich schon befreit. Einige Leute aus Bonn und Rheindorf, die hier in
Mondorf Verwandte hatten, kamen an den Rhein, gaben Lebenszeichen und riefen
„Nicht flüchten!“ Man konnte das Rufen am verkehrsstillen Rhein gut hören. Der
Pastor kletterte in diesen Tagen in den noch nicht zerschossenen Kirchturm und
beobachtete diesen mündlichen Verkehr über den Rhein und sah auch über die Herseler Landstraße die Truppentransporte nach Bonn ziehen.
Immer wieder fielen einzelne Schüsse ins Dorf, darunter viele
Phosphor-Brandgrananten, so dass man vor Bränden auf der Hut sein musste.
Zuerst kamen die Schüsse von Hersel her, später auch von
Bonn und Rheindorf. Als die Amerikaner drüben Stellung bezogen, erlebten wir
auch Schüsse schwerer Artillerie. Anscheinend wollte man sich für alle Fälle
„einschießen“, und so wurde das höchste und weithin über den Rhein sichtbare
Gebäude Mondorfs, die Kirche, Richtpunkt für das Einschießen, wenn nicht gar
für mutwillige Zielübungen. Mehrere große Löcher in der oberen Turmhälfte und
Einsturzgefahr waren das Ergebnis. Am 18. März feierte der Pastor die hl. Messe
außerhalb seines Hauses in dem tiefen Brauereikeller. Diesen
Sonntagsgottesdienst werden viele nie vergessen! Bald entstand Mangel an
Hostien für die Gottesdienste. Deshalb sammelten wir im Dorfe Weizen und
Weizenmehl, und ein Messdiener (W. Remmer) schlich
durch die Feldsenkung nach Rheidt, wo ein früher in
einem Kloster tätig gewesenes Fräulein es verstand, daraus Hostien zu backen.
Als
die politischen Leiter (auch Goldfasane genannt) schon das Dorf verließen (am
20. März), um anderswo Sicherheit zu finden – sie kamen aber bald wieder –,
betrieben die Mondorfer Soldaten noch weitere Kriegsvorbereitungen. Am 18. März
brachten sie ein Drahthindernis an der Kirchhofsmauer
an. Am 20. März gruben sie auf der Straße vor der Brauerei eine 3,80m tiefe
Panzerfalle und legten in die vom Rhein heraufführenden Wege Sprengminen.
Zwei
Tage später fuhr ein Flakgeschütz zwischen Klement und Braß auf eine solche
Mine, so dass ein Soldat zu Tode kam und einige schwer verletzt wurden. Für
zwei Tage bekamen „unsere“ Soldaten Verstärkungen: einen kleinen Trupp Fallschirmjäger
und etwa 20 Kölner Polizisten. In der allgemeinen Verworrenheit verschwanden
sie bald wieder.
Der,
was das Wetter angeht, schöne Monat März war für Mondorf eine bange, unruhige
Zeit. Immer wieder fielen Schüsse ins Dorf. Fünf Erwachsene und zwei Kinder
waren die Opfer, auch eine aus Düren nach hier geflüchtete Lehrerin. Besonders
tragisch war das Schicksal des 32jährigen Fräulein Gertrud Feld: sie saß beim
Kartoffelschälen im Winkel neben der Schreinerei. Dort traf sie ein Schuss und
warf sie über das Dach in den Hof des Nachbarhauses.
Auch
einige Soldaten wurden vom Pastor in Mondorf beerdigt, gleich welcher
Konfession. Sie waren hier gefallen oder tot von ihren Kameraden über den Rhein
zurückgebracht worden.
Am
Palmsonntag schon fand mit über 100 Personen wieder
eine hl. Messe im Brauereikeller statt, die nächste dann zu Ostern, am 1. April
1945. Ebenso auch in dem großen Kartoffelkeller von Schmitz-Weßling.
Und wieder am Weißen Sonntag eine Abendmesse im Brauereikeller. Zwischendurch
hielt der Pastor in kleineren Kellern Gottesdienste, wo heute noch ein
Emailleschild daran erinnert. Die Ankündigung der Gottesdienste geschah auf
eine einfache Weise. In den Kriegswochen versagte die Wasserleitung ganz. Man
war auf einige wenige Pumpen angewiesen. Die Amerikaner hatten zum Wasserholen
der Bevölkerung freies Geleit zugesichert, und so trafen sich an den Pumpen
frühmorgens die Wasserholer und lasen dort die
Anschläge des Pastors betreffend des Gottesdienstes.
Eine
wehmütige Erinnerung hängt für manche Mondorfer am 7. April. Die Amerikaner hatten
die am 9. März von den Deutschen gesprengte Bonner Rheinbrücke notdürftig wiederhergestellt.
Am 7. April wurde sie von den Deutschen wieder zerschossen. Die Folge war, dass
sehr viel Holzwerk den Rhein heruntertrieb. Es konnte
aber leider nicht geborgen werden wegen der beiderseitigen Schießereien. „All
das schöne gute Brennholz“ jammerten einige Mondorfer, die den Rhein mit seinem
Treibgut auch heute noch als stillen Wohltäter ansehen. In der damaligen Zeit der
Not machte man sich um das Eigentumsrecht wenig Sorge.
Die
ersten Apriltage waren noch recht sorgenvoll. Das Kriegsgetöse tobte um
Siegburg, bis am 10. April diese Stadt besetzt wurde und die Schießereien und
Sprengungen verstummten. Weil es dort an der oberen Sieg zu brenzlig war, kamen
die aus Mondorf Geflüchteten nach und nach wieder. Hier war es doch sicherer,
obwohl in den Postenlöchern am Rhein immer noch einige Soldaten saßen. Als
diese abrückten, suchte die Polizei am 9. April das Dorf nochmals nach Soldaten
ab. Am 12. April wurde auf dem Schulgelände, das weit über dem Rhein sichtbar
ist, eine große weiße Flagge aufgezogen, zum Zeichen, dass hier nichts
Kriegerisches mehr geschah. Die Panzerfallen und Minen wurden von den
Einwohnern beseitigt. So waren wir endlich reif für die „Befreiung“, oder soll
ich sagen Eroberung durch die Amerikaner.
Dann kamen die Amerikaner!
Form-
und ruhmloser hätte das Kriegsende für Mondorf kaum ausfallen können: Am Mittag,
dem 13. April, einem Freitag, kamen die Amerikaner von Rheidt
her nach Mondorf, ein Panzerauto und zwei kleine Jeeps. In der Langgasse
fragten sie den alten Eisenbahner Beu nach den
hiesigen Verhältnissen, ob noch Truppen hier seien und Munitionslager. Der
Eisenbahner musste dann bis zur Kirche mitfahren, wo das Panzerauto sich quer
in die Straßenkreuzung stellte. Die „Eroberer“ besahen sich mit dem aus der
Nazizeit noch gebliebenen Ortsbürgermeister und dem
als Dolmetscher helfenden jungen J.B. die Sprengstellen und Minenlöcher.
Gleichzeitig unterhielten sich andere Amis mit Leuten, die etwas Englisch
verstanden und teilten Karamellen aus. Am meisten drängten sich einige als
Zwangsarbeiter hiergebliebene Ausländer, Holländer,
Belgier, an die neue Besatzung heran. Der Empfang der Eroberer vollzog sich für
die Mondorfer mit sehr gemischten Gefühlen. „Manche stille Träne wurde
geweint!“ sagt das Tagebuch dieser Zeit. Fast alle Häuser hatten weiße Fahnen
ausgehängt, viele noch wochenlang, obwohl sich die Besatzungssoldaten nur noch
ganz selten blicken ließen. Erste Zeichen einer neuen Ordnung kamen auf. Es
wurde ausgeschellt, von 8 bis 18 Uhr sei Ausgangserlaubnis gegeben, alle Waffen
seien an der Schule abzuliefern, Soldaten müssten sich sofort melden.
Da
kirchliche Leben fing wieder an. Am Samstag, dem 14. April, wurde der Schutt
mit Schubkarren aus der Kirche und Kirchennähe entfernt, und alles wurde
notdürftig gesäubert. Das Geviert, wo die Decke im Seitenschiff eingestürzt
war, wurde abgesperrt. Am Sonntag, dem 15. April, konnte nach 5 Wochen, wiederum
in der Kirche, die hl. Messe gefeiert werden. And am Tage darauf zog alles Volk
aus den Kellern wieder in die Wohnungen, soweit sie nicht zerstört waren.
So
verging der April mit Hoffen, Warten und Aufbauen, lange Wochen ohne Post, ohne
Radio, ohne Zeitung, ohne Wasserleitung und Strom. Anfang Mai meldete der
Chronist, man höre auffallend viele Kuckucke und Nachtigallen. Das liege wohl
daran, dass ihre sonstigen Aufenthaltsorte durch Beschuss und Kriegslärm zu
sehr gestört seien. Am Tage vor Christi Himmelfahrt stiegen einige beherzte
Männer von außen auf das zerschossene Kirchendach und von da in den Turm, der
durch den Beschuss unsicher und von innen unbesteigbar
geworden war. Und dann gaben sie sich ans Beiern. Es
ging noch! Lange Zeit wurde gebeiert.
10.
Mai, Christi Himmelfahrt. Morgens Hochamt und festliche Prozession. Beteiligung
wie noch nie! Fast jedes Haus hatte wieder eine Fahne oder sonst wie geziert!
Herrliches Wetter dabei. Und die Kirchturmuhr ging und schlug wieder. Die
Menschen wurden wieder froh. Am 18. Mai waren Licht und Wasser wieder da. Aber
erst am 3. Juli begann wieder der Fährbetrieb mit einem Motornachen. Ab 7. Juli
lief die Kleinbahn wieder. Der Aufbau hatte begonnen.